Qualifizierungsprogramm „Fachkraft für psychosoziale Unterstützung im Unternehmen“

Hintergrund und Anlass

Immer mehr Menschen fühlen sich im Job gestresst und auf Dauer kann Arbeitsstress krank machen. Krankenstatistiken belegen, dass die Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund psychischer Belastungen steigen. Psychische Belastungen und Erkrankungen sind aber immer noch Tabu-Themen am Arbeitsplatz. Neben oft langen krankheitsbedingten Fehlzeiten können sich darüber hinaus weitere negative Auswirkungen ergeben, wie: Leistungs- und Qualitätseinbußen, Absentismus, schlechtes Betriebsklima, vermehrt auftretende Konflikte, Suchterkrankungen, innere Kündigung, etc. Arbeitgeber sollten sich daher diesen Themen stellen und aktiv Vorsorge betreiben.

Prävention ist die beste Vorsorge

Nicht nur Arbeitsunfällen kann vorgebeugt werden. Auch psychosoziale Probleme am Arbeitsplatz können frühzeitig erkannt werden. Aufklärung, Früherkennung und Prävention können hier größeren Schaden für Mitarbeiter wie für Unternehmen vermeiden bzw. geringhalten.

Fatale Lücke im System

In der Regel fehlt es im Unternehmen an einer fachkundigen betrieblichen Vertrauensperson für Mitarbeiter und Führungskräfte, die

  • bei Überlastungsanzeichen, individuellen Krisen, Ängsten, Sorgen und Konflikten lösungsorientierte Handlungsoptionen aufzeigen kann,
  • als loyaler, diskreter und qualifizierter Gesprächspartner im Arbeitsalltag zur Verfügung steht,
  • Kenntnisse über Einrichtungen und Institutionen verfügt, um schnell und gezielt Hilfe hinzuzuziehen.
Zielsetzung und Nutzen der Ausbildung

Mit dieser Qualifizierung kann ein Mitarbeiter als Vermittler und Vertrauensperson im Unternehmen unterstützend im Sinne aller tätig werden, um negativen psychosozialen Entwicklungen im Arbeitsalltag vorzubeugen, oder auf Risiken diesbezüglich aufmerksam zu machen.

Die Fachkraft ist der erste innerbetriebliche Ansprechpartner bei aufkeimenden psychischen oder sozialen Problemstellungen für alle Mitarbeiter und Führungskräfte. Sie wirkt wie ein Seismograph bei Problemen oder akut auftretenden Gefährdungen. Sie kann direkt vor Ort angesprochen und um Unterstützung gebeten werden. Sie weiß, wen sie hinzuziehen sollte und wo sie ggfs. professionelle Hilfe finden kann. Als Initiator für psychosoziale Gesundheitsförderungsmaßnahmen und Verbesserungen im Betriebsablauf ist die Fachkraft für ein gutes Betriebsklima proaktiv im Einsatz.

Seminardauer

Die Seminarinhalte werden auf zwei Grundlagenseminaren mit jeweils 2,5 Tagen verteilt. Wir vermitteln Wissen und Fertigkeiten praxisnah. In jedem Ausbildungsschritt folgt auf die Vermittlung notwendiger theoretischer Grundlagen eine Demonstration am Fallbeispiel, die in eine praktische Übung für die Teilnehmer mündet. So versetzen wir unsere Teilnehmer in die Lage, Problemstellungen im betrieblichen Alltag schnell zu erkennen und als Vertrauensperson Hilfestellung anzubieten.

Damit individualisiertes Lernen und Erfahren kontinuierlich für alle TN durchgehend gewährleistet und begleitet werden kann, realisieren wir alle Grundlagenmodule ausschließlich im Co-Teaching-Modell durchgehend mit zwei Dozenten. Die Reflexion eigener bereits erlebter Erfahrungen kann im Einzelfall eine akute Unterstützung bei ausgelöster Betroffenheit erforderlich machen. Durch das Co-Teaching-Modell kann hierauf individuell und jederzeit angemessen reagiert werden. Alle Teilnehmenden erleben in solchen Situationen, dass niemand durchs Netz fällt, sondern profitieren davon, dass ihre Kollegen gestärkt aus der Unterstützung, um eine gute Erfahrung reicher ist.

Broschüre

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„Psychosoziale Unterstützung in besonders belastenden Berufen“

 

Die Pandemie hat einmal mehr gezeigt, welche physischen und psychischen Anforderungen die Kolleginnen und Kollegen bewältigen müssen. Dabei sind die Belastungen in manchen Berufsgruppen schon immer sehr hoch gewesen. In Gesprächen mit solchen Berufsgruppen fragt man sich immer „Wie könnt Ihr das nur ertragen?“ Welche Lösungsansätze gibt es schon, was ist aktuell in der Planung? Ein paar Ansätze davon möchte ich Euch hier vorstellen.

Die Pflege von kranken oder alten Menschen wie auch die Inklusion von Menschen mit Behinderungen hat eine enorme gesellschaftliche Bedeutung. Die Arbeit, die dort geleistet wird, ist eigentlich mit Geld allein nicht zu vergüten. Denn sie hinterlässt oft auch Spuren bei den Kolleginnen und Kollegen.

Beispiel Heilpädagogisches Zentrum Krefeld – Kreis Viersen gGmbH mit über 500 Angestellten, die die Betreuung und Förderung von über 2200 behinderten Mitarbeiter:innen sicherstellen.

Bereits 2016 wurde, nach Thematisierung durch den Betriebsrat, eine anonyme Befragung der Kolleginnen und Kollegen durchgeführt und der Bedarf an niederschwelligen und unbürokratischen Hilfsangeboten erkannt. Der Betriebsrat nahm sich daraufhin dem Thema „Unterstützungsangebote“ an und erarbeitete mit einem internen Arbeitskreis

  • ein Konzept zur Unterstützung bei Extremsituationen sowie
  • ein Konzept zur Unterstützung bei alltäglichen Situationen und Problemlagen.

Ziel der Konzepte sollte es sein, die psychische Gesundheit zu erhalten bzw. positiv zu beeinflussen, um psychische Erkrankungen zu vermeiden oder deren Folgen zu reduzieren.

Da sich unter den Kollegen bereits zwei erfahrene ehrenamtliche Notfallseelsorger befanden, konnte die interne Unterstützung zur Hilfe bei Extremsituationen kurzfristig umgesetzt werden. Die langfristige Zielsetzung ist eine Erweiterung des Teams durch Qualifizierung eigener Kolleginnen und Kollegen zur „Fachkraft für psychosoziale Unterstützung“ bzw. zu Notfallseelsorgern.

Für den Bereich der alltäglichen Problemlagen wurde eine Kooperation mit einem externen Dienstleister gewählt. Hier gibt es Beratungsangebote zu den verschiedensten Themenfeldern und bei Bedarf wird innerhalb von zwei Tagen ein persönliches Treffen sichergestellt/organisiert.

Nach der Wahrnehmung des Betriebsrats, ist ein Rückgang der Krankenausfälle in diesen Bereichen zu erkennen. Eine Wiederholung der Befragung muss hier aber noch erfolgen. Für diese eindrucksvolle Umsetzung erzielte der Betriebsrat 2018, in der Kategorie „Gute Arbeit“, den zweiten Platz beim 15. Betriebsrätetag in Bonn.

 

Beispiel Rettungsdienst – pflegende Berufe –

Wenn es um das Erleben von Extremsituationen geht, sind die Kolleginnen und Kollegen im Rettungsdienst oder der Krankenpflege immer ganz vorne mit dabei. Wenn ich eins in meinen 30 Jahren Erfahrung im Rettungsdienst gelernt habe, dann ist es: „gibt’s nicht – gibt’s nicht“ ALLES ist möglich. Glücklicherweise ist heute das Thema „Umgang mit psychischen Belastungen“, wenn auch nur sehr am Rande, Bestandteil der Ausbildung geworden.

Aber gerade nach extremen Situationen funktionieren Bewältigungsstrategien, die bei „allgemeinen“ persönlichen Herausforderungen greifen, nicht oder entfalten nicht die entlastende Wirkung, da bestimmte Situationen deutlich vom Normalen abweichen. Kinder, die schon im Säuglingsalter sterben oder Menschen, die ihr Leben auf grausame Weise beenden, gehören nicht zu unserem Verständnis von „normal“. Hier kann es dann zu akuten Belastungsreaktionen bis hin zur posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) führen.

In der Begleitung von Kolleginnen und Kollegen nach extremen Ereignissen hat sich im Laufe der Jahre das CISM (Critical Incident Stress Management) Konzept aus den USA etabliert. Hierbei handelt es sich um ein ressourcenorientiertes umfassendes Interventionsprogramm, welches durch speziell qualifizierte Peers (Gleichrangige desselben Arbeitskontextes) bzw. Psychosoziale Fachkräfte durchgeführt wird. CISM ist aber keine Therapie oder kann auch kein Ersatz für eine nötige Therapie bei der PTBS sein, sondern bietet nur Hilfe zur Selbsthilfe an.

Andere Angebote wie z.B. regelmäßige Supervision sind leider noch die große Ausnahme im Rettungsdienst und anderen pflegenden Berufen. Dabei müssten gerade solche Angebote in jedem Maßnahmenplan der Gefährdungsbeurteilung (ArbSchutzG §5) enthalten sein, vorausgesetzt diese wurde bisher überhaupt vollständig durchgeführt. 1Die Zahlen aus der Veröffentlichung des Bundesamtes für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin von 2021 zeigen ein sehr trauriges Bild. Hier bedarf es noch einiger Aufklärungs- und Aufbauarbeit durch die Interessenvertretungen vor Ort.

Beispiele aus anderen Bereichen

Auch wenn mein Einblick in andere Bereiche wie Einzelhandel, Lager oder Logistik, Büro und Verwaltung etwas eingeschränkt ist, so höre ich von dort gleiche Probleme. In den Unternehmen fehlt es an einer fachkundigen betrieblichen Vertrauensperson, die….

  • bei Belastungen, Krisen und Konflikten dem Mitarbeiter oder Kollegen mögliche Bearbeitungswege aufzeigen kann;
  • über eine hinreichende Vernetzung zu Einrichtungen und Organisationen verfügt, um schnell und gezielt Hilfsmöglichkeiten aufzeigen und einleiten zu können;
  • Führungskräften und Mitarbeitern im betrieblichen Alltag als loyaler und diskreter Gesprächspartner im Themenbereich psychische Belastungen zur Verfügung steht.
Wo kann sich der Betriebsrat zu diesem Thema weiterbilden?

Weitere Seminare rund um das Thema Psychische Belastungen finden sie hier: https://www.peer-support.de

Im Jahr 2022 nehmen wir zudem ein neues Seminar in unser Programm auf, mit deren Abschluss das Zertifikat zur „Fachkraft für psychosozialen Unterstützung im Unternehmen“ erworben werden kann. In unserem Newsletter sowie auf unserer Homepage halten wir Sie hierzu auf dem Laufenden.

 

1 Quelle: BAuA – Arbeitswelt im Wandel Ausgabe 2021 Seite 77

„Arbeitsunfähigkeit aufgrund psychischer Erkrankung“

 

„Rasanter Anstieg der Arbeitsausfälle – Fehltage seit 2000 um 137 % gestiegen – Krankmeldung wegen Depressionen am häufigsten“. Das sind die Erkenntnisse aus dem aktuellen DAK-Psychoreport 2020* der am 15 September 2020 in Hamburg von der Krankenkasse DAK-Gesundheit veröffentlicht wurden.

Bei diesem Report handelt es sich um eine Langzeitanalyse, in der die anonymisierten Daten von über zwei Millionen erwerbstätiger Versicherten ausgewertet wurden. Nachdem 2018, erstmals nach 12 Jahren, die Zahlen der AU-Tage gesunken sind, stiegen die Zahlen für 2019 deutlich an und sind nun auf einem Stand von 260,3 AU-Tagen je 100 Versicherten. Eine Zahl, die mich nachdenklich stimmt und die Fragen nach der weiteren Entwicklung aufwirft.

Wo drückt der Schuh?

Wo sind die Ursachen dieser Zahlen oder besser ausgedrückt: Wo drückt der Schuh bei unseren Kolleginnen und Kollegen? Übersehen wir hier vielleicht etwas? Ist uns da in den letzten Jahren etwas durchgegangen? Arbeitsunfähigkeit durch psychische Erkrankungen entsteht selten von heute auf morgen. Die Kolleginnen und Kollegen leiden häufig schon seit sehr langer Zeit unter der Erkrankung. Sie haben eigentlich auch gelernt damit umzugehen und ihr Leben darauf eingestellt. Aber irgendwann kommt der Zeitpunkt da bringt der Tropfen, das Fass zum überlaufen.

Eine sinnvolle Tätigkeit in einem Umfeld, von dem ich Unterstützung und Anerkennung meiner geleisteten Arbeit erhalte, ist für viele Betroffenen der Halt, den Sie so dringend brauchen. Aber wie sieht es hier seit der Pandemie aus? Viele wurden in die Kurzarbeit oder ins Homeoffice versetzt. Einen Ort in dem viele der Betroffenen abgeschieden und alleine schon jeden Abend verbringen. Die Arbeit mit den Kollegen war die so wichtige Ablenkung daraus. Und nun?

Ehrliche Hilfe ist wichtig

Ich weiß leider aus eigener Erfahrung, wovon ich hier schreibe. In über 30 Jahren Tätigkeit im Rettungsdienst habe ich einiges sehen und erleben müssen. Ich habe selber viele Seminare zum Umgang mit psychischen Belastungen im Einsatzwesen gehalten, aber meine eigenen Belastungsreaktionen nicht bemerkt. Es hat über 6 Jahre gedauert, bis mir die Augen geöffnet wurden und ich dann auch Hilfe annehmen konnte.

Ein betrieblicher Ansprechpartner

In Unternehmen gibt es für die verschiedensten Aufgaben gut ausgebildete Spezialisten. Da haben wir den Datenschutzbeauftragten, den QM-Beauftragten, die Hygienefachkraft usw. Leider fehlt in den Unternehmen aber jemanden wie eine Fachkraft für psychosoziale Unterstützung. Schade eigentlich!

Aber wer kann einem Betroffenen dann die Augen öffnen bzw. von wem lasse ich mir als Betroffener überhaupt etwas zu diesem sehr sensiblen Thema empfehlen? Eigentlich nur von jemandem, dem ich vertraue, mit dem ich regelmäßig Zeit verbringe und seine Kompetenz schätze. Wenn wir nun die Brücke wieder zur Arbeitswelt schlagen, wer passt da besser als die Betriebsräte und die SBVler? Eure Kollegen haben euch gewählt, weil ihr deren Vertrauen habt und sie euch als Kollegen schätzen.

Worauf achten? **

Wie oben schon geschrieben, brauchen die Kolleginnen und Kollegen vertraute Personen, auf die sie zurückgreifen können und die in diesen Themen Erfahrung haben. Aber worauf solltet ihr bei den Kollegen, die nicht selber zu euch kommen, ein Auge werfen? Hier ein paar Empfehlungen dazu:

Veränderungen in der Arbeitsdisziplin

Unpünktlichkeit ohne erkennbare Gründe, häufige Arbeitsunterbrechungen mit Verlassen des Arbeitsplatzes, zunehmende Krankschreibung, verspätete Abgabe von Krankmeldungen, Unzuverlässigkeit bei der Arbeit (z.B. Arbeit bleibt liegen oder zieht sich lange hin).

Veränderung im Sozialverhalten

Unangemessenes Verhalten gegenüber Führungskräften, Kolleginnen und Kollegen sowie Kunden (z.B. Gereiztheit/Aggressivität), übersteigerte Reaktionen gegenüber Kritik, Vermeiden von Kontakten zu Kolleginnen und Kollegen (z. B. in Pausen).

Veränderungen im Leistungsverhalten

Starke Schwankungen der Leistung, hohe Fehlerquote, Vermeidung bestimmter Tätigkeiten (z. B. Telefonate mit Kunden bei Beschwerden).

Sonstige Auffälligkeiten

Andauernde Traurigkeit, Selbstgespräche, ungepflegte Erscheinung (Kleidung, Körperpflege, Essverhalten), Anspannung, außergewöhnliche Unruhe, zunehmender Gebrauch von Suchtmitteln (z.B. Tabak, Alkohol, Medikamente).

Wo im Unternehmen ansetzen

Wie sieht denn eure Arbeit als Betriebsräte und SBVler im punkto Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz aus? Was steht in der Gefährdungsbeurteilung gemäß § 5 ArbSchutzG zum Thema psychische Belastungen, und wurden die Maßnahmen aus dem Maßnahmenplan fristgerecht umgesetzt? War das Thema Umgang mit Arbeitsunfähigkeit aufgrund psychischer Belastungen schon einmal Thema in der ASA oder dem BEM Team? Wie belastet oder resilient seid ihr selber im Amt? Habt ihr überhaupt die Zeit für all diese Themen?

Spätestens, wenn das Thema Senkung der AU Zahlen im Unternehmen wieder auf die Tagungsordnung kommt, muss die Zeit dafür zur Verfügung stehen. Wenn wir nicht jetzt den Kolleginnen und Kollegen, die hinter diesen Zahlen stehen, mit ehrlicher Hilfe und Unterstützung im Unternehmen beistehen, verlieren wir viele dieser guten Kolleginnen und Kollegen nicht nur durch Arbeitsunfähigkeit oder Frühberentung, sondern durch endgültige Ereignisse.

 

*Quelle: https://www.dak.de/dak/bundesthemen/dak-psychoreport-2020-2335930.html#

** Quelle: DGUV Information 206-030