„Arbeitsunfähigkeit aufgrund psychischer Erkrankung“
„Rasanter Anstieg der Arbeitsausfälle – Fehltage seit 2000 um 137 % gestiegen – Krankmeldung wegen Depressionen am häufigsten“. Das sind die Erkenntnisse aus dem aktuellen DAK-Psychoreport 2020* der am 15 September 2020 in Hamburg von der Krankenkasse DAK-Gesundheit veröffentlicht wurden.
Bei diesem Report handelt es sich um eine Langzeitanalyse, in der die anonymisierten Daten von über zwei Millionen erwerbstätiger Versicherten ausgewertet wurden. Nachdem 2018, erstmals nach 12 Jahren, die Zahlen der AU-Tage gesunken sind, stiegen die Zahlen für 2019 deutlich an und sind nun auf einem Stand von 260,3 AU-Tagen je 100 Versicherten. Eine Zahl, die mich nachdenklich stimmt und die Fragen nach der weiteren Entwicklung aufwirft.
Wo drückt der Schuh?
Wo sind die Ursachen dieser Zahlen oder besser ausgedrückt: Wo drückt der Schuh bei unseren Kolleginnen und Kollegen? Übersehen wir hier vielleicht etwas? Ist uns da in den letzten Jahren etwas durchgegangen? Arbeitsunfähigkeit durch psychische Erkrankungen entsteht selten von heute auf morgen. Die Kolleginnen und Kollegen leiden häufig schon seit sehr langer Zeit unter der Erkrankung. Sie haben eigentlich auch gelernt damit umzugehen und ihr Leben darauf eingestellt. Aber irgendwann kommt der Zeitpunkt da bringt der Tropfen, das Fass zum überlaufen.
Eine sinnvolle Tätigkeit in einem Umfeld, von dem ich Unterstützung und Anerkennung meiner geleisteten Arbeit erhalte, ist für viele Betroffenen der Halt, den Sie so dringend brauchen. Aber wie sieht es hier seit der Pandemie aus? Viele wurden in die Kurzarbeit oder ins Homeoffice versetzt. Einen Ort in dem viele der Betroffenen abgeschieden und alleine schon jeden Abend verbringen. Die Arbeit mit den Kollegen war die so wichtige Ablenkung daraus. Und nun?
Ehrliche Hilfe ist wichtig
Ich weiß leider aus eigener Erfahrung, wovon ich hier schreibe. In über 30 Jahren Tätigkeit im Rettungsdienst habe ich einiges sehen und erleben müssen. Ich habe selber viele Seminare zum Umgang mit psychischen Belastungen im Einsatzwesen gehalten, aber meine eigenen Belastungsreaktionen nicht bemerkt. Es hat über 6 Jahre gedauert, bis mir die Augen geöffnet wurden und ich dann auch Hilfe annehmen konnte.
Ein betrieblicher Ansprechpartner
In Unternehmen gibt es für die verschiedensten Aufgaben gut ausgebildete Spezialisten. Da haben wir den Datenschutzbeauftragten, den QM-Beauftragten, die Hygienefachkraft usw. Leider fehlt in den Unternehmen aber jemanden wie eine Fachkraft für psychosoziale Unterstützung. Schade eigentlich!
Aber wer kann einem Betroffenen dann die Augen öffnen bzw. von wem lasse ich mir als Betroffener überhaupt etwas zu diesem sehr sensiblen Thema empfehlen? Eigentlich nur von jemandem, dem ich vertraue, mit dem ich regelmäßig Zeit verbringe und seine Kompetenz schätze. Wenn wir nun die Brücke wieder zur Arbeitswelt schlagen, wer passt da besser als die Betriebsräte und die SBVler? Eure Kollegen haben euch gewählt, weil ihr deren Vertrauen habt und sie euch als Kollegen schätzen.
Worauf achten? **
Wie oben schon geschrieben, brauchen die Kolleginnen und Kollegen vertraute Personen, auf die sie zurückgreifen können und die in diesen Themen Erfahrung haben. Aber worauf solltet ihr bei den Kollegen, die nicht selber zu euch kommen, ein Auge werfen? Hier ein paar Empfehlungen dazu:
Veränderungen in der Arbeitsdisziplin
Unpünktlichkeit ohne erkennbare Gründe, häufige Arbeitsunterbrechungen mit Verlassen des Arbeitsplatzes, zunehmende Krankschreibung, verspätete Abgabe von Krankmeldungen, Unzuverlässigkeit bei der Arbeit (z.B. Arbeit bleibt liegen oder zieht sich lange hin).
Veränderung im Sozialverhalten
Unangemessenes Verhalten gegenüber Führungskräften, Kolleginnen und Kollegen sowie Kunden (z.B. Gereiztheit/Aggressivität), übersteigerte Reaktionen gegenüber Kritik, Vermeiden von Kontakten zu Kolleginnen und Kollegen (z. B. in Pausen).
Veränderungen im Leistungsverhalten
Starke Schwankungen der Leistung, hohe Fehlerquote, Vermeidung bestimmter Tätigkeiten (z. B. Telefonate mit Kunden bei Beschwerden).
Sonstige Auffälligkeiten
Andauernde Traurigkeit, Selbstgespräche, ungepflegte Erscheinung (Kleidung, Körperpflege, Essverhalten), Anspannung, außergewöhnliche Unruhe, zunehmender Gebrauch von Suchtmitteln (z.B. Tabak, Alkohol, Medikamente).
Wo im Unternehmen ansetzen
Wie sieht denn eure Arbeit als Betriebsräte und SBVler im punkto Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz aus? Was steht in der Gefährdungsbeurteilung gemäß § 5 ArbSchutzG zum Thema psychische Belastungen, und wurden die Maßnahmen aus dem Maßnahmenplan fristgerecht umgesetzt? War das Thema Umgang mit Arbeitsunfähigkeit aufgrund psychischer Belastungen schon einmal Thema in der ASA oder dem BEM Team? Wie belastet oder resilient seid ihr selber im Amt? Habt ihr überhaupt die Zeit für all diese Themen?
Spätestens, wenn das Thema Senkung der AU Zahlen im Unternehmen wieder auf die Tagungsordnung kommt, muss die Zeit dafür zur Verfügung stehen. Wenn wir nicht jetzt den Kolleginnen und Kollegen, die hinter diesen Zahlen stehen, mit ehrlicher Hilfe und Unterstützung im Unternehmen beistehen, verlieren wir viele dieser guten Kolleginnen und Kollegen nicht nur durch Arbeitsunfähigkeit oder Frühberentung, sondern durch endgültige Ereignisse.
*Quelle: https://www.dak.de/dak/bundesthemen/dak-psychoreport-2020-2335930.html#
** Quelle: DGUV Information 206-030